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Fachverlag und Nachrichtenagentur

Reine Überwachung bei Keimzellkarzinomen nicht nachteilig

 

EXTERNAL GENITAL Kopenhagen – mechentel news – Patienten unter systemischer Behandlung aufgrund von Hodenkrebs weisen ein erhöhtes Risiko auf, eine sekundäre maligne Neoplasie (SMN) zu erleiden. Bisherige Studien über SMN und Todesursachen enthalten eher mangelhafte Informationen bezüglich der exakten Behandlungsmethode oder basieren auf Patienten, die veraltete Behandlungsmöglichkeiten erhalten hatten. Dies nahmen die Forscher Maria G. Kier von der onkologischen Abteilung am Kopenhagener Universitätskrankenhaus Rigshospitalet, Dänemark, und Kollegen zum Anlass, um behandlungsspezifische Risiken der SMN sowie damit verbundene Todesfälle in einer landesweiten bevölkerungsbezogenen Kohortenstudie an 5190 mit Standardtherapie behandelten, dänischen Männern mit Keimzellkarzinomen (germ cell carcinom, GCC,) die in der Danish Testicular Cancer Datenbank im Zeitraum vom 1. Januar 1984 bis zum 31. Dezember 2007 erfasst sind, zu untersuchen. Die Behandlungsergebnisse wurden mit einer randomisiert zusammengestellten, altersstratifizierten bevölkerungsbezogenen Kontrollgruppe verglichen. Sowohl Fälle gonadaler als auch extragonadaler Primärerkrankungen wurden in diese landesweite Kohorte integriert. Das therapeutische Spektrum umfasste Überwachungen genauso wie retroperitoneale Strahlentherapie (retroperitoneal radiotherapy, RT), die Arzneistoffe Bleomycin, Etoposid und Cisplatin (BEP) oder mehr als eine Behandlungslinie (MTOL). Mithilfe des Cox-proportionalen Hazard Modells wurden die kumulative Inzidenz und die Risikoquotienten (hazard ratios, HRs) für SMN und die Todesfälle errechnet und mit denen der alters-angepassten Kontrolle verglichen. Die Studienpopulation umfasste 2804 Patienten mit Seminomen und 2386 mit Nichtseminomen. Der mittlere Nachsorgezeitraum betrug 14,4 Jahre (Interquartilbereich: 8,6 – 20,5 Jahre). Die 20-Jahres kumulative Inzidenz mit Tod als einem konkurrierenden Risiko lag bei 7,8 % (Surveillance), 7,6 % (BEP), 13,5 % (RT), 9,2 % (MTOL) und 7,0 % (Kontrollen). Es konnte kein erhöhtes Risiko für SMN bei den Überwachungspatienten gefunden werden, wohingegen die HRs der anderen Therapiemethoden 1,7 (BEP; 95 % [Konfidenzintervall, CI]: 1,4 – 2,0), 1,8 (RT; 95 % CI: 1,5 – 2,3) und 3,7 (MTOL; 95 % CI: 2,5 – 5,5) betrugen. Die Mortalität in Bezug auf Nicht-GCC-Ursachen nahm bei Überwachungspatienten ab, erhöhte sich allerdings um das 1,3-Fache bei Patienten, die entweder mit BEP oder RT therapiert wurden, und war bei Patienten aus der MTOL-Gruppe sogar um das 2,6-Fache angestiegen. Infolge der SMN trat sogar eine Übersterblichkeit bei Patienten der BEP-(HR: 1,6; 95 % CI: 1,2 – 2,2), RT- (HR: 2,1; 95 % CI: 1,5 – 2,9) und MTOL-Gruppe (HR: 5,8; 95 % CI: 3,6 – 9,6) auf. Die Autoren schlussfolgern in der im Dezember 2016 in der Fachzeitschrift JAMA Oncology erschienen Studie, dass kein erhöhtes SMN- oder Sterberisiko für Patienten bestünde, die ausschliesslich überwacht werden. Die Risiken für SMN oder den Tod infolge der SMN waren jedoch nach alleiniger Therapie mit BEP, RT oder MTOL erhöht. Es seien weitere Untersuchungen nötig, um Patientengruppen abzugrenzen, die von weniger intensiven Behandlungen profitieren könnten. (ut)

Autoren: Kier MG, Hansen MK, Lauritsen J, Mortensen MS, Bandak M, Agerbaek M, Holm NV, Dalton SO, Andersen KK, Johansen C, Daugaard G. Korrespondenz: Dr. Maria G. G. Kier, Department of Oncology 5073, Rigshospitalet, Blegdamsvej 9, 2100 Copenhagen, Denmark. Electronic address: maria.gry.gundgaard@regionh.dk. Studie: Second Malignant Neoplasms and Cause of Death in Patients With Germ Cell Cancer: A Danish Nationwide Cohort Study. Quelle: JAMA Oncol. 2016 Dec 1; 2(12):1624-1627. doi: 10.1001/jamaoncol.2016.3651. Web: http://jamanetwork.com/journals/jamaoncology/article-abstract/2565155

KOMMENTAR Wie so oft stammen klinisch relevante Daten aus skandinavischen Datenbanken. Die Länder Dänemark, Island, Finnland, Schweden, Grönland und Norwegen haben sich dabei 1966 zum sogenannten NOMESCO, dem Nordic Medico-Statistical Committee politisch vereinigt. Insbesondere Norwegen, Dänemark und Schweden pflegen dabei eine populationsbasierte „Datenbank-Tradition“. Regelmässig werden klinisch hoch interessante Arbeiten hieraus publiziert wie z.B. Ergebnisse der Copenhagen City Heart Study (1). Urologisch liefern uns seit über 30 Jahren die Schwedisch/Norwegischen Hodentumor-Datenbanken SWENOTECA (2) wie auch die Danish Tesicular Cancer Datenbank DATECA interessante, klinisch meist sehr relevante Studien (3). Die aktuelle Studie stammt aus Dänemark (DATECA) und zeigt ein Risiko für die Gesamtmortalität bei dänischen Hodentumorpatienten über ein Follow-up von 20 Jahren von 9 % (Surveillance), 13 % bzw. 14 % für Männer nach Chemotherapie (BEP) oder Bestrahlung (30-46 Gy). Bei einer Mehrfachtherapie stieg die Gesamtmortalität auf beachtliche 75 %. Ein Zyklus BEP erhöhte das Risiko für Blasenkarzinome, Ösophaguskarzinome und Myelome. Selbstverständlich müsste man jetzt analysieren, wie aggressiv die Verläufe dieser metachronen Tumoren sind. Und natürlich sind diese Männer auch meist sehr schwer an ihrem Hodentumor erkrankt. Ohne die Platin-basierte Chemotherapie würden Männer mit Metastasen nicht überleben, dies war 1977 ein herausragender Erfolg, als junge Männer mit hoher Metastasenlast plötzlich zu über 74 % komplett geheilt werden konnten (4). Die dänische Studie zeigt uns dennoch eindrücklich, dass keine Therapie ohne Kollateralwirkung ist und wir unsere Patienten dahingehend orientieren müssen. Ausserdem scheint Platin die kardiovaskuläre Mortalität im ersten Jahr zu erhöhen, weswegen zum Teil diskutiert wird, ob diese jungen Männer im ersten Jahr nach Therapie antikoaguliert werden sollten (vgl. Swiss Urology 04/2016, 15-16).

1. Charansonney OL, Cohen-Solal A. 2015. Sex, Jogging, and Mortality: The Copenhagen City Heart Study. J Am Coll Cardiol 65:2672. 2. Forsberg L, Dale L, Hoiem L, Magnusson A, Mikulowski P, Olsson AM, Ous S, Stenwig AE. 1986. Computed tomography in early stages of testicular carcinoma. Size of normal retroperitoneal lymph nodes and lymph nodes in patients with metastases in stage II A. A SWENOTECA study: Swedish-Norwegian Testicular Cancer Project. Acta Radiol Diagn (Stockh) 27:569-574. 3. Rorth M. 1985. Non-seminomatous testicular cancer stage I. Orchiectomy alone versus orchiectomy + radiotherapy: a randomized study by the Danish Testicular Cancer Study Group. Prog Clin Biol Res 203:561. 4. Einhorn LH, Donohue J. 1977. Cis-diamminedichloroplatinum, vinblastine, and bleomycin combination chemotherapy in disseminated testicular cancer. Ann Intern Med 87:293-298.