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Zweiter multinationaler Survey zum Management erblicher degenerativer Netzhauterkrankungen

GENETICS Bonn – Für erbliche degenerative Netzhauterkrankungen werden immer mehr genspezifische Therapien entwickelt. Die Identifizierung entsprechend gut charakterisierter Patienten ist dringend erforderlich. Die Autoren um Birgit Lorenz von der Universitätsaugenklinik Bonn, Deutschland, führten eine zweite multinationale Umfrage unter den Mitgliedern des European Vision Institute Clinical Research Network (EVICR.net) und des europäischen Referenznetzwerks für seltene Augenerkrankungen (ERN-EYE) durch, um das Management und die Behandlung von erblichen Netzhauterkrankungen in Europa zu erfassen und die Ergebnisse mit denen der Umfrage von 2019 zu vergleichen. Dazu wurde ein elektronischer Fragebogen entwickelt und bis Juni/Juli 2021 an 124 klinische Zentren in 25 Ländern versandt. Die statistische Analyse wurde mit Excel und R durchgeführt. Die Gesamt-Rücklaufquote lag bei 44%, variierte jedoch zwischen den Ländern. Nur 9% der antwortenden Zentren sahen keine Patienten mit erblichen Netzhauterkrankungen (Umfrage 2019: 14%); 42% beobachteten mindestens 200 Patienten pro Jahr, 18% beobachteten 500 bis 999 und 2% mehr als 1000. Datenbanken existierten in 86% der Zentren (lokal 86%, national webbasiert 12%). An EVICR.net und ERN-EYE-Zentren wurden Patienten mit erblichen degenerativen Netzhauterkrankungen hauptsächlich von allgemeinen Augenärzten, durch Patientenselbstüberweisungen oder von Netzhautspezialisten überwiesen. Die meisten Patienten mit erblichen Netzhauterkrankungen wurden erstmals als Erwachsene gesehen. Anzeichen und Symptome hingen vom Erkrankungsalter ab: im Säuglingsalter stand der Nystagmus im Vordergrund, im höheren Alter Nachtblindheit und ein eingeschränktes Gesichtsfeld; reduzierte Sehschärfe (VA) wurde in jedem Alter beschrieben. Eine umfassende ophthalmologische Untersuchung umfasste immer die Bestimmung der VA und fast immer multimodale retinale Gesichtsfeldbildgebung, Elektrophysiologie, Farbsehtests und Refraktionsbestimmung. Die Identifizierung von Genotypen gelang in 72% der Zentren in 40 bis 80% der Fälle (Umfrage 2019: 69% der Zentren). Die Zeit bis zur Bestätigung der genetischen Diagnose variierte zwischen zwei bis vier Wochen und 24 Monaten (Umfrage 2019: > 4 Wochen ≤ 10 Jahre). Gentests wurden zu 83% vom öffentlichen Gesundheitssystem, zu 29% von privaten Krankenversicherungen und zu 24% durch Forschungsgelder übernommen; 5% hatten keinen Zugang zu Gentests (Umfrage 2019: 15%). Das auffälligste Ergebnis war die starke Zunahme der Beteiligung von Zentren an Longitudinal- und gentherapeutischen Studien, wobei sich letztere mehr als verdoppelt hatten. Die Autoren weisen in der elektronischen Vorabpublikation im Januar 2023 beim Fachjournal OPHTHALMIC RESEARCH darauf hin, dass diese zweite multinationale Umfrage zum Management von erblichen degenerativen Netzhauterkrankungen in Europa besonders die fortbestehenden deutlichen Unterschiede in der Anzahl der pro Zentrum behandelten Patienten, eine vergleichbare diagnostische Aufarbeitung und die zunehmende Genotypisierung in diagnostischen Labors deutlich macht. Die bedeutende Zunahme der Beteiligung von Zentren an Longitudinal- und Gentherapiestudien spiegele das sich schnell entwickelnde Gebiet der Gentherapieentwicklung wider. Die Umfrage liefere damit wichtige Follow-up-Daten für Forscher, Kliniker, Pflegekräfte, Patientenvertretungen, pharmazeutische Unternehmen und Investoren. (bs)

Autoren: Lorenz B, Tavares J, van den Born LI, Marques JP, Pilotto E, Stingl K, Charbel Issa P, Leroux D, Dollfus H, Scholl HPN; EVICR.net study group; ERN-EYE study group. Korrespondenz: Birgit Lorenz, Department of Ophthalmology, Universitaetsklinikum Bonn, Bonn, Germany. Studie: Current management of Inherited Retinal Degenerations (IRD) patients in Europe. Results of a 2 years follow-up multinational survey by the European Vision Institute Clinical Research Network – EVICR.net. Quelle: Ophthalmic Res. 2023 Jan 2. doi: 10.1159/000528716. Epub ahead of print. PMID: 36592621. Web: https://www.karger.com/Article/Abstract/528716

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