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Fachverlag und Nachrichtenagentur

Dr. med. Randazzo im Gespräch mit Herrn Professor Beyer, stv. Klinikdirektor der Klinik für Onkologie am Universitätsspital Zürich:

Sehr geehrter Herr Professor Beyer,

1)
Das Jahr 2016 neigt sich schon wieder dem Ende zu. Welche Neuheiten oder Ereignisse haben Sie dieses Jahr besonders in Erinnerung?
Betreffend der Uro-Onkologie: (I) Bei Hodenkrebs unsere retrospektive Analyse zur Behandlung von Patienten mit ZNS Metastasen; (II) Bei Nierenzellkarzinomen die beiden aus meiner Sicht negativen Studien zur adjuvanten Therapie nach Nephrektomie. Hier sehe ich keinen Nutzen einer adjuvanten Therapie. Und die positive Studie zur Zweitlinientherapie mit Cabozantinib; (III) Bei Urothelkarzinomen der Einsatz von Immuncheckpoint-Inhibitoren und hier vor allem der Einsatz von Atezolizumab in der der Zweitlinientherapie bei Progress/Versagen von Cisplatin bei PD-L1 positiven Patienten (und nur in dieser Subgruppe); (IV) Bei Prostatakarzinomen die Daten zum Einsatz des Multiparameter-MRI bei der Diagnose (PROFIT Studie), und die Daten der ProtecT Studie, welche aktive Surveillance mit Prostatektomie und Strahlentherapie verglichen hat; (V) Bei Peniskarzinomen meine Patienten, die mir vor Augen führen, dass wir ganz dringend einen Weg finden müssen, wie wir Betroffenen mit dieser schrecklichen Erkrankung besser helfen können; und (VI) Ein exzellenter Hauptvortrag zur Preisentwicklung bei neuen onkologischen Medikamenten, die ich schlichtweg pervers finde.

2)
Ich möchte mit Ihnen auf die zytoreduktive Chirurgie zu sprechen kommen. Bei vielen Tumoren mit Metastasen hat die Entfernung des Primärtumors keinen Einfluss auf das Gesamtüberleben. Bei Nierenzellkarzinomen hingegen, wurde schon in den 1970er Jahren beschrieben (1), dass sich zB. pulmonale Metastasen potentiell zurück bilden können, wenn der Patient nephrektomiert wird. Bevor wir die Targeted Therapy als Kliniker im Alltag hatten, zeigte sich bei Patienten metastasierten Nierenzellkarzinomen eine signifikante Verbesserung des Gesamtüberlebens, wenn der Patient einer Nephrektomie mit Interferontherapie zugeführt wurde als im Vergleich der Interferon-Monotherapie (medianes Überleben 8.1 versus 11.1 Monate bzw. 1 Jahresüberleben 36.8% versus 49.7%) (2). Dies traf insbesondere zu, wenn der Allgemeinzustand des Patienten gut war. Wie erklärt man sich nun dieses Phänomen? Sind Nierenzellkarzinomen eine besondere Tumorentität?

Nierenzelltumoren sind aus klinischer und tumorbiologischer Sicht in der Tat besonders. Einerseits wissen wir seit langem über sehr variable und zum Teil trotz Metastasierung langfristig indolente klinische Verläufe. Andererseits ist bereits seit Jahrzehnten bei Nierenzellkarzinomen das Ansprechen auf eine Immuntherapie bekannt. Seit wir Tumoren auch molekular untersuchen können, wird es immer spannender. Wir können einen Teil der Heterogenität erklären, und somit auch die Tatsache weshalb einzelne Metastasen auf Therapie z.B. mit einem Tyrosinkinase-Inhibitor ansprechen, andere dagegen nicht. Die Arbeit von Gerlinger et al. 2015 aus dem New England Journal zur Tumorheterogenität fand ich hierzu besonders eindrucksvoll. Wir lernen, dass innerhalb des Primärtumors, zwischen Primärtumor und Metastasen, aber auch zwischen einzelnen Metastasen das Gewebe molekularbiologisch heterogen ist. Wir müssen die Vorstellung eines einheitlichen Tumors bei einem Patienten verlassen.
Das bessere Ansprechen und Überleben nach Nephrektomie könnte einerseits in der Entfernung primär resistenter Zellklone liegen, andererseits an der Reduktion der Tumormasse insgesamt, was gerade für die Immuntherapie günstig ist. Letztlich könnte ein Teil des verbesserten Überlebens nach Nephrektomie aber auch schlichtweg daran liegen, dass Patienten weniger lokale Komplikationen erleiden. Dies ist für mich immer noch ein Grund bei Patienten in gutem Allgemeinzustand und nicht unmittelbarer Lebensbedrohung durch die Metastasen eine primäre Nephrektomie zu erwägen. Die aktuelle Arbeit vom September 2016 aus dem Journal of Clinical Oncology von Hanna unterstützt dies. Dort wurde der Einfluss der Nephrektomie auf die Überlebenswahrscheinlichkeit bei Patienten in der «Ära» der Tyrosinkinase-Inhibitoren retrospektiv an Registerdaten des National Cancer Data Base der USA untersucht. Die Autoren kommen zum Schluss, dass die Nephrektomie möglicherweise zu selten eingesetzt wird.

3)
Einige kürzlich publizierte Studien legen den Schluss nahe, dass die Nephrektomie auch im Zeitalter der Targeted Therapy einen positiven Einfluss auf das Gesamtüberleben hatte, insbesondere wenn diese nach Beginn der Therapie durchgeführt wurde (3-5).
Allerdings scheinen die Zahlen für die cytoreduktive Nephrektomie rückläufig zu sein (6, 7). Diese Daten sind allerdings teils aus Registern, sodass der Selection Bias nicht ausgeschlossen werden kann. Zwei Studien werden uns in Zukunft hier hoffentlich mehr Evidenz bieten: die CARMENA Studie sowie die SURTIME Studie.
Nehmen wir einmal an, der Perfomance-Status eines 54-jährigen Patienten mit metastasiertem papillärem Nierenkarzinom ist gut bis sehr gut; die M1-Situation besteht aus 3 pulmonalen Herden Der Primärtumor hat einen Cavazapfen bis subdiaphragmal. Welche Substanz würden Sie vorschlagen? Wie wäre Ihr Vorgehen bezüglich einer zytoreduktiven Nephrektomie?

Den genannten Patienten würde ich zunächst persönlich gerne in der Sprechstunde sehen mit ihm über die Therapieoptionen sprechen und ihn untersuchen wollen. Danach gehört er am uro-onkologischen Tumorboard vorgestellt. Wenn die seitengetrennte Nierenfunktion gut ist, und meine urologischen Kollegen der Ansicht sind, den Primärtumor und den Cavazapfen gut resezieren zu können, würde ich ganz klar zur primären Resektion raten. Postoperativ würde ich mit einem Tyrosinkinase-Inhibitor therapieren. Und mir sehr genau anschauen, wie sich die pulmonalen Metastasen hierunter verhalten. Wenn die Erkrankung nicht dramatisch progredient ist, und die drei pulmonalen Metastasen chirurgisch gut erreichbar sind, würde ich den Patienten am Thoraxboard vorstellen, und die Kollegen fragen, ob sie die pulmonalen Metastasen resezieren können. Hier kommt es in der Regel entscheidend darauf an, wo die Läsionen liegen und wie gross diese sind. Danach würde ich mit dem Tyrosinkinase-Inhibitor weiter therapieren. Eine spannende und für mich noch ungeklärte Frage ist, ob man bei Patienten mit gutem längerfristigen Tumoransprechen und bei Patienten, die nach Metastasenresektion tumorfrei geworden sind, den Tyrosinkinase-Inhibitor absetzen oder zumindest pausieren kann.

4)
In den vergangenen 15 Jahren hat die Immuntherapie mehr und mehr Einzug in die Klinik erhalten. Mehr und mehr verstehen wir auch die Interaktion zwischen Immunsystem und Tumorzellen. Unter anderem wurden auch Hitzeschockproteine zur Vakzinierung eingesetzt (8), um dendritische Zellen mit Tumor-Peptiden und so eine zytotoxische Reaktion zu provozieren. In der Lymphomtherapie haben bestimmte Antikörper bereits Ihren festen Platz. Welche Substanzen oder Therapieansätze erscheinen Ihnen hier vielversprechend?

Im Jahr 1989 habe ich begonnen als Arzt in der Onkologie tätig zu sein. Damals gab es ausser der Nephrektomie, einer sehr toxischen Immuntherapie und einer weitgehend unwirksamen Chemotherapie keine aktive Behandlung von Nierenzellkarzinomen. Das blieb dann auch fast 15 Jahre lang so. Dann kamen in unglaublich schneller Folge neue Medikamente mit ganz unterschiedlichen Wirkungsmechanismen, die jeweils einen Überlebensvorteil zeigten. Das ist unglaublich eindrucksvoll und belegt den Sinn, sich nicht zufrieden zu geben und weiter zu forschen. Dennoch hat sich die ganz grosse Hoffnung, die wir alle in diese neuen Medikamente setzten bislang nicht erfüllt: Menschen mit metastasierten Nierenzellkarzinomen werden auch heute in der Regel nicht geheilt. Jedoch hat sich die Überlebenswahrscheinlichkeit um mehrere Jahre erhöht. Das ist ein Erfolg! Wie bei anderen onkologischen Erkrankungen wurde aus vielen Nierenzellkarzinomen eine Art «chronische» Erkrankung. Spannend werden die Erfahrungen mit den neuen Immuncheckpoint-Inhibitoren sein. Zum Teil wird ein langfristiges und sogar «dauerhaftes» Ansprechen mit diesen Substanzen auch bei Nierenzellkarzinomen berichtet. Von der Therapie bei Melanomen wissen wir schon längere Zeit, dass dies möglich ist. Bei Nierenzellkarzinomen bin ich noch skeptisch. Die Beobachtung eines «dauerhaften» Therapieansprechens wurde bei Einführung der Tyrosinkinase-Inhibitoren auch gemacht, hat sich aber mit längerer Nachverfolgung nicht bestätigt. Hier möchte ich erst «harte» Daten sehen. Ein neues Konzept, das in Studien geprüft wird, sind Kombinationstherapien. Jedoch halte ich es bis die Daten dieser letztgenannten Studien vorliegen für viel wichtiger, dass Patienten eine optimale Therapie nach dem besten aktuellen Wissensstand erhalten, d.h. dass Patienten in gutem Allgemeinzustand auch in der zweiten und dritten Linie konsequent behandelt werden und so vom additiven Nutzen einer Sequenztherapie profitieren. Der konsequente sequentielle Einsatz mehrerer Therapielinien wird wahrscheinlich noch nicht ausreichend umgesetzt.
Herzlichen Dank für dieses sehr interessante Interview.

Referenzen

1. Garfield DH, Kennedy BJ. 1972. Regression of metastatic renal cell carcinoma following nephrectomy. Cancer 30:190-196.
2. Flanigan RC, Salmon SE, Blumenstein BA, Bearman SI, Roy V, McGrath PC, Caton JR, Jr., Munshi N, Crawford ED. 2001. Nephrectomy followed by interferon alfa-2b compared with interferon alfa-2b alone for metastatic renal-cell cancer. N Engl J Med 345:1655-1659.
3. Hanna N, Sun M, Meyer CP, Nguyen PL, Pal SK, Chang SL, de Velasco G, Trinh QD, Choueiri TK. 2016. Survival Analyses of Patients With Metastatic Renal Cancer Treated With Targeted Therapy With or Without Cytoreductive Nephrectomy: A National Cancer Data Base Study. J Clin Oncol 34:3267-3275.
4. Petrelli F, Coinu A, Vavassori I, Cabiddu M, Borgonovo K, Ghilardi M, Lonati V, Barni S. 2016. Cytoreductive Nephrectomy in Metastatic Renal Cell Carcinoma Treated With Targeted Therapies: A Systematic Review With a Meta-Analysis. Clin Genitourin Cancer doi:10.1016/j.clgc.2016.04.001.
5. de Groot S, Redekop WK, Sleijfer S, Oosterwijk E, Bex A, Kiemeney LA, Uyl-de Groot CA. 2016. Survival in Patients With Primary Metastatic Renal Cell Carcinoma Treated With Sunitinib With or Without Previous Cytoreductive Nephrectomy: Results From a Population-based Registry. Urology 95:121-127.
6. Conti SL, Thomas IC, Hagedorn JC, Chung BI, Chertow GM, Wagner TH, Brooks JD, Srinivas S, Leppert JT. 2014. Utilization of cytoreductive nephrectomy and patient survival in the targeted therapy era. Int J Cancer 134:2245-2252.
7. Psutka SP, Kim SP, Gross CP, Van Houten H, Thompson RH, Abouassaly R, Weight C, Boorjian SA, Leibovich BC, Shah ND. 2015. The impact of targeted therapy on management of metastatic renal cell carcinoma: trends in systemic therapy and cytoreductive nephrectomy utilization. Urology 85:442-450.
8. Randazzo M, Terness P, Opelz G, Kleist C. 2012. Active-specific immunotherapy of human cancers with the heat shock protein Gp96-revisited. Int J Cancer 130:2219-2231.