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Fachverlag und Nachrichtenagentur

Das „Oligometastatische“ Prostatakarzinom: Lokaltherapie indiziert?

Marco Randazzoa), Ashkan Mortezavib), Christoph Schregela), Paolo Fontanella c), Josef Beatriced)

a) Klinik für Urologie, Kantonsspital Winterthur
b) Klinik und Poliklinik für Urologie, Universitätsspital Zürich
a) Klinik für Urologie, Kantonsspital Winterthur
c) Chirurgische Klinik, Mendrisio, Tessin
d) Klinik für Urologie, Stadtspital Waid/Stadtspital Triemli

Lokaltherapie – Pathophysiologischer Hintergrund
„An der Brust sahen wir häufig Tumoren, die der Gestalt eines Krebses sehr ähnlich waren. So wie die Beine des Tieres […], so verlassen die Venen den Tumor, der seiner Form nach dem Krebskörper gleicht.“ Diese Worte stammen von Galenos, als er im 2. Jahrhundert nach Christus ein Mammakarzinom beschrieb. Und Leonides aus Alexandria empfahl schon damals, die “krebskranke Brust mit dem Messer weit im Gesunden“ zu entfernen. Dieses Dogma ist heute in der onkologischen Chirurgie uns allen geläufig. Die Resektion sollte unbedingt komplett und ohne positiven Schnittrand sein. Aber: wie sieht die Situation im metastasierten Stadium aus? Wenn der Tumor bereits gestreut hat? Wenn eine radikale Entfernung nicht mehr möglich ist? Unterschieden werden muss hier zwischen der onkologischen Zytoreduktion einerseits und der möglichen Prophylaxe lokaler Komplikationen durch den Tumor andererseits.

Welchen Stellenwert hat die Zytoreduktion bei anderen Tumorentitäten?
Bei bestimmten Tumorentitäten zeigt die Zytoreduktion einen gewissen Überlebensvorteil. Einige Beispiele sind hier:
a) das metastasierte Nierenzellkarzinom: das Gesamtüberleben kann verbessert werden, wenn eine zytoreduktive Nephrektomie vorgenommen wird, insofern der Allgemeinzustand des Patienten gut ist. Im Rahmen der heute angewendeten Targeted Therapy gibt es aktuell eine retrospektive Studie, die dies unterstützt, dann allerdings NACH Therapie mit Tyrosinkinaseinhibitoren [1, 2]. Prospektive Studien sind aber noch ausstehend (CARMENA-Studie in Paris: Sunitinib versus Sunitinib und zytoreduktiver Nephrektomie beim klarzelligen Nierenzellkarzinom; erste Datenanalyse erwartet im Februar 2020; ausserdem: SURTIME-Studie: evaluiert den Zeitpunkt der zytoreduktiven Nephrektomie beim klarzelligen Nierenzellkarzinom; Teilnehmer stammen aus Belgien, Italien, Canada, den Niederlanden und Grossbritannien. Arm I: direkte Nephrektomie. Anschliessend 4 Wochen nach Operation Beginn der Sunitinib-Therapie. Arm II: zuerst Sunitinib-Therapie, dann zytoreduktive Nephrektomie).
Weitere Beispiele für einen Überlebensvorteil durch Zytoreduktion sind:
b) das metastasierte Kolonkarzinom [3],
c) das Ovarialkarzinom [4],
d) das Gliobastom [5].

Der pathophysiologische Hintergrund einer Zytoreduktion könnte die Reduktion von tumoreigenen Wachstumsfaktoren sein; weniger Tumormasse somit weniger Wachstumsfaktoren. Zum anderen scheint das immunsuppressive Zytokinprofil durch die Tumorentfernung qualitativ und quantitativ verändert zu werden [6]. Ferner dient der Primärtumor als Streuherd für zirkulierende Tumorzellen [7, 8]. Abbildung 1 gibt einen groben Überblick über die genannten Mechanismen. Ob diese Mechanismen allerdings auch für klinisch relevante Prostatakarzinome zutreffen, gilt es zunächst zu prüfen. Es gibt Hinweise darauf, dass trotz Doxetacel-Therapie und 1-jähriger Hormontherapie potentiell lethale Zellklone innerhalb der Prostata nicht eradiziert werden (dies allerdings nach nur drei Zyklen Taxotere!) [9]. Dies würde die Zytoreduktion mittels Prostatektomie unterstreichen.

Was heisst “oligometastatisch”?
Dass die Zytoreduktion im Sinne einer pelvinen Lymphadenektomie beim lokalisierten Prostatakarzinom mit infiltrierten pelvinen Lymphknoten einen Überlebensvorteil bietet, ist heute akzeptiert [10, 11]. Das Gesamtüberleben nach fünf Jahren steigt von 60 auf 84 % an, wenn die pelvine Lymphadenektomie durchgeführt und die Prostatektomie nicht abgebrochen wird [12], womit die pelvine Zytoreduktion beim klinisch relevanten Prostatakarzinom empfohlen wird [13]. Aber: sind retroperitoneale Lymknotenmetastasen ausserhalb des Beckens dann oligometastatisch? Wenn ja, bis zu welchem Durchmesser und in welcher Bildgebung (MRT versus PSMA)? Hier liegen also zunächst einige Fragen offen, die geklärt werden müssen. Wie sieht es mit Knochenmetastasen aus? Wer definiert hier oligometastatisch, bzw. die viel wichtigere Frage: durch welche Bildgebung definiert man oligometastatisch? Denn drei Hot Spots in der Knochenszintigraphie geben im Ganzkörper-MRT ein komplett anderes Bild ab [14]. Wenn man nun viszerale Metastasen einmal ausklammert (da die Prognose damit deutlich sinkt, insbesondere bei Lebefiliae vgl. Tabelle 1, aus [15]), stellt sich damit auch die Frage, wo genau diese ossären Filiae sitzen dürfen. Weil: sogar die Lokalisation ossärer Metastasen (Wirbelsäule versus Röhrenknochen) soll tumorbiologisch u.U. eine Rolle spielen [16]. All diese kritischen Fragen sollten gestellt und diskutiert werden, um einen möglichst bilanzierten und Evidenzbasierten Ansatz zu verfolgen.

Lokale Komplikationen des fortgeschrittenen Prostatakarzinoms
Aus dem klinischen Alltag sind typische Komplikationen des lokal fortgeschrittenen Prostatakarzinoms die symptomatische Hydronephrose, eine obstruktive Miktion (> 40 %), die Rektumkompression als auch lokale Schmerzen durch Beckeninfiltration [17].

Aktuelle Studienlage und zukünftige Studien
Erst kürzlich wurde der potentielle Vorteil einer zytoreduktiven Prostatektomie im metastasierten Stadium diskutiert [18, 19]. Es folgte eine Feasability-Studie [20], die zeigte dass nach sechs Monaten neoadjuvanter Androgenentzugstherapie eine zytoreduktive Prostatektomie ohne grössere Komplikationen möglich sei. In einer kürzlich publizierten Beobachtungsstudie zeigen sich ein verbessertes Überleben nach drei Jahren bei Männern mit M1a (nicht regionale Lymphknoten), M1b (Knochenmetastasen) bzw. M1c (viszerale Metastasen), wenn eine Lokaltherapie (Bestrahlung oder zytoreduktive Prostatektomie) zusätzlich zum Hormonentzug durchgeführt wurde (48 versus 63 % [21]). Dabei hatten 77 % eine Bestrahlung der Prostata, 20 % wurden zytoreduktive prostatektomiert und 3 % wurden einer Brachytherapie unterzogen.

Da die genannten Studien in der Regel einen “Selection Bias” haben, sind wir auf prospektive Studien angewiesen. Eine solche findet gerade in Deutschland statt (die sog. gRAMPP-Studie: Einschlusskriterien PSA = < 200 ng/ml, mindestens eine, aber maximal fünf ossäre Metastasen, lokal resektabler Tumor und guter AZ mit moderaten Symptomen), welche frühestens 2020 (bzw. schlussendlich 2025) eine erste Analyse zulassen wird. Bis dahin kann eine zytoreduktive Prostatektomie nach interdisziplinärer Diskussion am Tumorboard und guter individueller Aufklärung im Einzelfall diskutiert werden. Tabelle 2 gibt einen Überblick über laufende Studien zur zytoreduktiven Prostatektomie/Bestrahlung.

Tabelle 1:
Medianes Gesamtüberleben bei Patienten mit metastasiertem Prostatakarzinom stratifiziert nach Lokalisation der Metastasen. (bei Kastrationsresistenz, aus [15]). LK = Lymphknoten

 

 

Tabelle 2:
Laufende Studien zur zytoreduktiven Therapie (Bestrahlung oder Prostatektomie)
ADT = Androgendeprivationstherapie; RP = radikale Prostatektomie, LAD = Lymphadenektomie;
RT = Radiotherapie; mCRPCa = metastasiertes kastrationsresistentes Prostatakarzinom





 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Abbildung: Die Entfernung des Primärtumors scheint unterschiedliche biologische Wirkungen bei Fernmetastasen zu haben. Zum einen werden (1) immunsuppressive Zytokine reduziert, wie etwa VEGF [22], TGF-β [23] oder Interleukin 10 [24]. Zum anderen (2) wird durch die Entfernung der Prostata auch ein “Seeding”, also die Einwanderung von zirkulierenden Tumorzellen in den Kreislauf unterbunden [7].

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Literatur
1. Flanigan, R.C., et al., Nephrectomy followed by interferon alfa-2b compared with interferon alfa-2b alone for metastatic renal-cell cancer. N Engl J Med, 2001. 345(23): p. 1655-9.
2. Hanna, N., et al., Survival Analyses of Patients With Metastatic Renal Cancer Treated With Targeted Therapy With or Without Cytoreductive Nephrectomy: A National Cancer Data Base Study. J Clin Oncol, 2016. 34(27): p. 3267-75.
3. Temple, L.K., et al., Use of surgery among elderly patients with stage IV colorectal cancer. J Clin Oncol, 2004. 22(17): p. 3475-84.
4. Bristow, R.E., et al., Survival effect of maximal cytoreductive surgery for advanced ovarian carcinoma during the platinum era: a meta-analysis. J Clin Oncol, 2002. 20(5): p. 1248-59.
5. Nitta, T. and K. Sato, Prognostic implications of the extent of surgical resection in patients with intracranial malignant gliomas. Cancer, 1995. 75(11): p. 2727-31.
6. Predina, J.D., et al., Cytoreduction surgery reduces systemic myeloid suppressor cell populations and restores intratumoral immunotherapy effectiveness. J Hematol Oncol, 2012. 5: p. 34.
7. Comen, E., L. Norton, and J. Massague, Clinical implications of cancer self-seeding. Nat Rev Clin Oncol, 2011. 8(6): p. 369-77.
8. Resel Folkersma, L., et al., Prognostic significance of circulating tumor cell count in patients with metastatic hormone-sensitive prostate cancer. Urology, 2012. 80(6): p. 1328-32.
9. Tzelepi, V., et al., Persistent, biologically meaningful prostate cancer after 1 year of androgen ablation and docetaxel treatment. J Clin Oncol, 2011. 29(18): p. 2574-81.
10. Frohmuller, H.G., et al., Survival and quality of life of patients with stage D1 (T1-3 pN1-2 M0) prostate cancer. Radical prostatectomy plus androgen deprivation versus androgen deprivation alone. Eur Urol, 1995. 27(3): p. 202-6.
11. Ghavamian, R., et al., Radical retropubic prostatectomy plus orchiectomy versus orchiectomy alone for pTxN+ prostate cancer: a matched comparison. J Urol, 1999. 161(4): p. 1223-7; discussion 1227-8.
12. Engel, J., et al., Survival benefit of radical prostatectomy in lymph node-positive patients with prostate cancer. Eur Urol, 2010. 57(5): p. 754-61.
13. Steuber, T., et al., Radical prostatectomy improves progression-free and cancer-specific survival in men with lymph node positive prostate cancer in the prostate-specific antigen era: a confirmatory study. BJU Int, 2011. 107(11): p. 1755-61.
14. Lecouvet, F.E., et al., Can whole-body magnetic resonance imaging with diffusion-weighted imaging replace Tc 99m bone scanning and computed tomography for single-step detection of metastases in patients with high-risk prostate cancer? Eur Urol, 2012. 62(1): p. 68-75.
15. Pond, G.R., et al., The prognostic importance of metastatic site in men with metastatic castration-resistant prostate cancer. Eur Urol, 2014. 65(1): p. 3-6.
16. Glass, T.R., et al., Metastatic carcinoma of the prostate: identifying prognostic groups using recursive partitioning. J Urol, 2003. 169(1): p. 164-9.
17. Won, A.C., et al., Primary treatment of the prostate improves local palliation in men who ultimately develop castrate-resistant prostate cancer. BJU Int, 2013. 112(4): p. E250-5.
18. Culp, S.H., P.F. Schellhammer, and M.B. Williams, Might men diagnosed with metastatic prostate cancer benefit from definitive treatment of the primary tumor? A SEER-based study. Eur Urol, 2014. 65(6): p. 1058-66.
19. Gratzke, C., J. Engel, and C.G. Stief, Role of radical prostatectomy in metastatic prostate cancer: data from the Munich Cancer Registry. Eur Urol, 2014. 66(3): p. 602-3.
20. Heidenreich, A., D. Pfister, and D. Porres, Cytoreductive radical prostatectomy in patients with prostate cancer and low volume skeletal metastases: results of a feasibility and case-control study. J Urol, 2015. 193(3): p. 832-8.
21. Loppenberg, B., et al., The Impact of Local Treatment on Overall Survival in Patients with Metastatic Prostate Cancer on Diagnosis: A National Cancer Data Base Analysis. Eur Urol, 2016.
22. Almand, B., et al., Clinical significance of defective dendritic cell differentiation in cancer. Clin Cancer Res, 2000. 6(5): p. 1755-66.
23. Wojtowicz-Praga, S., Reversal of tumor-induced immunosuppression by TGF-beta inhibitors. Invest New Drugs, 2003. 21(1): p. 21-32.
24. Carbone, E., et al., Recognition of autologous dendritic cells by human NK cells. Eur J Immunol, 1999. 29(12): p. 4022-9.