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Fachverlag und Nachrichtenagentur

Neue Daten zeigen keinen Vorteil der erweiterten Lymphaden­ektomie beim muskelinvasiven Harnblasenkarzinom

BLADDER CANCER Houston – Diese vieldiskutierte Studie von Seth P. Lerner vom Baylor College of Medicine in Houston und anderen amerikanischen Forschern sowie dem SWOG Cancer Research Network wurde in der Oktober-Ausgabe 2024 des NEW ENGLAND JOURNAL OF MEDICINE veröffentlicht. Bislang war unklar, ob eine erweiterte Lymphadenektomie bei Patienten mit muskelinvasivem Blasenkarzinom, die sich einer radikalen Zystektomie unterziehen, im Vergleich zu einer limitierten (oder Standard-) Lymphadenektomie mit einer Verbesserung des krebsfreien Überlebens und des Gesamtüberlebens verbunden ist. Hierzu wurden Patienten mit muskelinvasivem Blasenkarzinom im klinischen Stadium T2 bis T4a und mit zwei oder weniger befallenen Lymphknoten (N0, N1 oder N2) im Verhältnis 1:1 randomisiert und entweder einer bilateralen Standard-Lymphadenektomie (Entfernung der Lymphknoten auf beiden Seiten des Beckens) oder einer erweiterten Lymphadenektomie (in der Schweiz vielerorts Standard) mit Entfernung der iliakalen, prä-ischiadalen und präsakralen Knoten unterzogen. Die Randomisierung erfolgte während der Operation und wurde stratifiziert nach der Art der neoadjuvanten Chemotherapie, nach dem Tumorstadium (T2 vs. T3 oder T4a) und dem Zubrod Performance Status (0 oder 1 vs. 2; auf einer Skala von 5, wobei höhere Werte eine stärkere Beeinträchtigung bedeuten). Primärer Endpunkt war das krankheitsfreie Überleben. Das Gesamtüberleben und die Sicherheit wurden ebenfalls ausgewertet. Von den 658 Patienten wurden 592 geeignete Patienten nach dem Zufallsprinzip einer erweiterten Lymphadenektomie (292 Patienten) oder einer Standard-Lymphadenektomie (300 Patienten) zugeteilt. Die Operationen wurden von 36 Chirurgen an 27 Standorten in den USA und Kanada durchgeführt. 57% der Patienten erhielten eine neoadjuvante Chemotherapie. Nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von 6,1 Jahren war bei 130 Patienten (45%) in der Gruppe mit erweiterter Lymphadenektomie und bei 127 Patienten (42%) in der Gruppe mit Standard-Lymphadenektomie ein Rezidiv aufgetreten oder sie waren verstorben. Die geschätzte krankheitsfreie Überlebensrate nach 5 Jahren betrug 56% in der Gruppe mit erweiterter Lymphadenektomie und 60% in der Standardgruppe (Hazard Ratio für Rezidiv oder Tod 1,10; 95% Konfidenzintervall [KI] 0,86 bis 1,40; p = 0,45). Das Gesamtüberleben nach 5 Jahren betrug 59% in der Gruppe mit erweiterter Lymphadenektomie und 63% in der Standardgruppe (Hazard Ratio für Tod 1,13; 95% KI 0,88 bis 1,45). Schwere Nebenwirkungen (Grad 3 bis 5) traten bei 157 Patienten (54%) in der Gruppe mit erweiterter Lymphadenektomie und bei 132Patienten (44%) in der Standardgruppe auf. Innerhalb von 90 Tagen nach der Operation starben 19 Patienten (7%) in der Gruppe mit erweiterter Lymphadenektomie und 7 Patienten (2%) in der Standardgruppe. (cw)

Autoren: Lerner SP, Tangen C, Svatek RS, Daneshmand S, Pohar KS, Skinner E, Schuckman A, Sagalowsky AI, Smith ND, Kamat AM, Kassouf W, Plets M, Bangs R, Koppie TM, Alva A, La Rosa FG, Pal SK, Kibel AS, Canter DJ, Thompson IM Jr; SWOG S1011 Trial Investigators. Korrespondenz: Dr. Seth Lerner, Scott Department of Urology, Baylor College of Medicine Medical Center, 7200 Cambridge St., MC BCM380, Houston, TX 77030, USA. E-Mail: slerner@bcm.edu Studie: Standard or Extended Lymphadenectomy for Muscle-Invasive Bladder Cancer. Quelle: N Engl J Med. 2024 Oct 3;391(13):1206-1216. doi: 10.1056/NEJMoa2401497. PMID: 39589370; PMCID: PMC11599768. Web: https://www.nejm.org/doi/10.1056/NEJMoa2401497

KOMMENTAR Vor dieser Studie haben sicherlich die meisten akademischen Zentren eine ausgedehntere Lymphadenektomie eingeführt, basierend auf den bahnbrechenden Arbeiten von Don Skinner, insbesondere in der Schweiz aufgrund der Erfahrungen von Urs Studer und anderen. Zusammen mit der deutschen LEA-Studie unter der Leitung von Jürgen Gschwend behandelt diese Studie (SWOG S1011) eine chirurgisch hochrelevante Fragestellung: ob die erweiterte Lymphadenektomie einen onkologischen Vorteil bietet. Im Vergleich zur standardmässigen (in diesem Sinne limitierten) Lymphadenektomie führte die erweiterte Lymphaden­ektomie (wie sie in der Schweiz vielerorts durchgeführt wird) bei Patienten mit muskelinvasivem Blasenkrebs, die sich einer radikalen Zystektomie unterzogen, nicht zu einem verbesserten krankheitsfreien Überleben oder Gesamtüberleben und war mit einer höheren Morbidität und Mortalität während der Operation verbunden. Diese Evidenz sollte nun in der Schweiz diskutiert werden.
Autor: Dr. med. Christoph Würnschimmel, Oberarzt Luzerner Kantonsspital