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Fachverlag und Nachrichtenagentur

Möglichkeit eines erhöhten Suizidalitätsrisikos bei der Verschreibung von Finasterid beachten

LOWER URINARY TRACT Melbourne – Finasterid ist eine synthetische 4-Azasteroid-Verbindung, die durch kompetitive Hemmung der 5α-Reduktase (5-AR) wirkt. Dadurch wird die Umwandlung von Testosteron in Dihydrotestosteron (DHT) blockiert, was zu einer DHT-Reduktion um bis zu 90% führt. Finasterid wurde erstmals im Jahr 1992 zur Behandlung der Symptome der benignen Prostatahyperplasie (BPH) eingeführt (5mg täglich) und reduziert das Risiko für das Auftreten einer symptomatischen BPH bzw. von deren Symptomen. Zur Anwendung bei der androgenetischen Alopezie (1mg täglich) wurde Finasterid erst 1997 zugelassen. Die häufigsten bekannten Nebenwirkungen umfassen sexuelle Dysfunktion, Unfruchtbarkeit, Gynäkomastie und Depression, wobei Depression aufgrund von Bedenken hinsichtlich möglicher Stimmungsveränderungen erst im Jahr 2011 zur Liste hinzugefügt wurde. Im August 2022 wurden durch die FDA suizidale Gedanken und suizidales Verhalten zu den aufgeführten unerwünschten Reaktionen hinzugefügt. Für die neuropsychiatrischen Effekte von Finasterid wurden mehrere pathophysiologische Mechanismen vorgeschlagen. Unter anderem eine reduzierte Produktion neuroaktiver Steroide, eine verringerte Stressreaktion, eine Verringerung von Allopregnanolon und niedrigere Spiegel der Typ-I-5-AR im präfrontalen Kortex. Haidar Al Saffar aus dem Department of Genitourinary Cancer Surgery des Peter MacCallum Cancer Centre in Melbourne, Australien, und Kollegen sichteten die Literatur, in der es derzeit nur begrenzte Berichte über den ursächlichen Zusammenhang zwischen Finasterid und Suizidalität gibt. Nguyen et al. (JAMA Dermatol. 2021;157:35–42) führten eine Pharmakovigilanzanalyse mit VigiBase durch, der Pharmakovigilanzdatenbank der WHO. Es zeigte sich, dass insbesondere bei jungen Patienten (Alter 18 bis 44 Jahre) das Suizidrisiko und das Risiko für das Auftreten psychisch unerwünschter Ereignisse höher lagen. Bei älteren Patienten, die das Medikament zur Behandlung der BPH einnahmen, zeigten sich keine Auffälligkeiten. Pompili et al. (J Clin Psychopharmacol. 2021;41:304–309) fanden in einer Meta-Analyse heraus, dass das Risiko für suizidale Gedanken bei Einnahme von Finasterid (21,2%) grösser war als ohne (14%). Im Gegensatz dazu ergab eine retrospektive Kohortenstudie mit 93.197 Männern im Alter von 66 Jahren und älter von Welk et al. (JAMA Intern Med. 2017;177:683–691), dass zwar das Risiko für Depressionen bei Anwendern von 5-ARI höher war, jedoch keine erhöhte Suizidrate auf 5-ARIs zurückzuführen war. Wie die Autoren im April 2023 beim Fachjournal EUROPEAN UROLOGY OPEN SCIENCE veröffentlichen, stammt der grösste Teil der aktuellen Evidenz hinsichtlich des Zusammenhanges zwischen Suizidalität und der Einnahme von Finasterid aus dem dermatologischen Bereich und legt nahe, dass Anwender von 5-ARIs eine höhere Rate an depressiven Symptomen aufweisen. (fa)

Autoren: Al Saffar H, Xu J, O’Brien JS, Kelly BD, Murphy DG, Lawrentschuk N. Korrespondenz: Haidar Al Saffar, Department of Genitourinary Cancer Surgery, Peter MacCallum Cancer Centre, 305 Grattan Street, Melbourne, VIC 3000, Australia. E-Mail: haidar.alsaffar@petermac.org Studie: US Food and Drug Administration Warning Regarding Finasteride and Suicidal Ideation: What Should Urologists Know? Quelle: Eur Urol Open Sci. 2023 Apr 29;52:4-6. doi: 10.1016/j.euros.2023.04.009. PMID: 37182121; PMCID: PMC10172713. Web: https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S2666168323002008

KOMMENTAR Aufgrund des Mangels an randomisierten Studien ist es schwierig eine Kausalität zwischen der Einnahme von Finasterid und Suizidalität festzustellen. Die androgenetische Alopezie kann mit geringerem Selbstwertgefühl, negativem Körperbild und Depressionen in Verbindung gebracht werden. Junge Männer mit androgenetischer Alopezie haben bereits ohne 5-ARI Einnahme ein höheres Suizidrisiko. Für Patienten mit BPH ohne psychiatrische Beeinträchtigung dürften die Vorteile der Therapie die Risiken übersteigen. Trotzdem sollten wir als Urologen über das kürzlich zur Liste der Nebenwirkung hinzugefügten Suizidrisiko informiert sein und Patienten vor Verschreibung auf ihre psychische Gesundheit untersucht werden. Gegebenenfalls sollte eine kurzfristige Nachkontrolle, ggf. in der hausärztlichen Praxis, erfolgen, um psychische Symptome oder suizidale Gedanken zu erfragen. Zur Klärung der Kausalität sind weitere Studien notwendig.

Autor: Dr. med. Fabian Aschwanden, Assistenzarzt Luzerner Kantonsspital